Kunst im Karner - 9.-24. Juni 2007 - Maler & Medienkünstler
Johannes Deutsch - EVOLUTION und/oder SCHÖPFUNG ?

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  "Knotensäule", Logo von Kunst im Karner © Kunst im Karner - St. Othmar

Umstülpungen

Eröffnungsrede von Dr. Hartwig Bischof
bei der Vernissage am 9. Juni 2007

Artikel aus "Die Furche" vom 14. 6. 2007

Dr. Hartwig Bischof @ Kunst im Karner - St. Othmar

Karner @ Kunst im Karner - St. Othmar

Bilder im Karner:

3ECK_a6_e @ Johannes Deutsch

3ECK_a5_f2 @ Johannes Deutsch

3ECK_Rt2 @ Johannes Deutsch

3ECK @ Johannes Deutsch

Dreieck im Karner:

Dreieck CWD3ECK_43 @ Johannes Deutsch

Es hat durchaus einen eigenen Charme, sich an diesem Ort mit Schöpfung zu beschäftigen. In einem Gebeinhaus, in einer Aufbewahrungsstätte für Knochen. Man könnte meinen, dass sich hier viel eher der zweite Begriff aus dem Titel der Veranstaltung, die Evolution, aufdrängt. Eine durchaus schlüssige Folgerung: Die Evolution sei bei dieser Ansammlung aus Gebeinen an ihr Ziel gelangt, es sei vollbracht. Jedoch die Schöpfung kontert, erinnert geschickt an die Vision des Ezechiel. Der Prophet berichtet, der Herr habe ihm eine Ebene voller ausgetrockneter Gebeine gezeigt und zu ihm gesprochen: Ich selbst bringe Geist in euch, dann werdet ihr lebendig. Ich spanne Sehnen über euch und umgebe euch mit Fleisch; ich überziehe euch mit Haut und bringe Geist in euch, dann werdet ihr lebendig. (Ez 37,5f) Wie es sich für eine gute Geschichte gehört, folgt das Happy End auf den Fuß, es ist also durchaus noch nicht vollbracht.

Und oder doch oder 
Schöpfung und Evolution oder doch: Schöpfung oder Evolution, so lautet hier die Frage. Ausgetrocknete Gebeine oder lebendiges Fleisch – so die Gegenüberstellung nach der Logik des Ezechiel-Buches. Der schroffe Gegensatz löst sich durch eine neue oder eine anhaltende Schöpfung in ein fröhliches Und aus Gebeinen und Fleisch und Geist auf. Das wäre die visionäre Logik. In der formalen Logik, die als mathematisches System funktioniert, bleibt dieser Ausweg verwehrt. Seit alters her gilt: Tertium non datur, ein Drittes gibt es im kristallklaren Entweder-Oder nicht. Die Einfriedung von Nichtgleichem in einen gemeinsamen Bezirk erlaubt ausschließlich das Und, das Oder setzt solches schroff in zwei je eigene Bereiche und lässt sie wie Boccia­kugeln aufeinander prallen. Nun stehen wir hier nicht vor Gebeinen, sondern vor Kunstwerken, vor Schöpfungen und/oder Evolutionen von Johannes Deutsch. Seine Arbeitsweise hat viel mit dem Spiel zwischen dem Und und dem Oder zwischen Schöpfung und Evolution zu tun. Johannes Deutsch ist ein Computerkünstler, zumindest was den Produktionsprozess der hier vorgestellten Arbeiten betrifft. Er hat sich aber nicht den vorgegebenen Werkzeugen der Zeichenprogramme unterworfen, nein, er hat sich die Maschine dienstbar gemacht und benützt sie gemäß seiner Notwendigkeiten. Die Orte seiner Bilder sind Überwelten, surreale Traumräume. Die Gesichte, die auf Schatten zurückgehen, die irgendein Gegenstand an der nächtlichen Wand im Zimmer eines Schlaftrunkenen entstehen lässt, diese Gesichte sind ihm wichtiger als die tatsächlichen Gesichter, die als Fotografie Grundlage der Arbeiten hier sind.
Die Visionen des Johannes Deutsch mögen zwar ganz andere als jene des Ezechiel sein, ein „Experte der Zukunft“ möchte er laut Selbstaussage aber allemal werden und trifft sich darin mit den Ansprüchen des Propheten. Die Entwicklung dieser Visio­nen mit dem Werkzeug Computer lässt diese aus dem vollständig gegensätzlichen System des binären Codes entstehen. In diesem System herrscht eindeutig das Oder, jedem Pixel ist ein spezifischer Farbwert zugeordnet, und zwar ausschließlich. Johannes Deutsch überführt aber das Ausschlussprinzip in seine Welt des bestimmten Und, in seine Schöpfungen von Bildräumen.

Die Arbeiten von Johannes Deutsch stehen zumindest hinsichtlich zweier Aspekte in der Tradition der Renaissance. Einmal durch die Idee des „uomo universale“, der Kunst und Wissenschaft in einer Person vereint. Aus heutiger Sicht zeigt sich, dass sowohl die Kunst als auch die Wissenschaft eine künstliche Welt erzeugen, um mit der tatsächlichen Welt besser umgehen zu können. Der Wissenschafter versucht, sich selbst aus seinen Experimenten heraus zu halten, objektiv zu sein – was eine Illusion ist. Der Künstler arbeitet von vorneherein mit der Illusion – und ist damit völlig realistisch.

Ein künstlicher Raum 
So belegt Johannes Deutsch zunächst seine Bildoberfläche mithilfe der Zentralperspektive mit einem Raumwinkel, er suggeriert, dass sich die ebene Leinwand oder Fotografie in die Tiefe erweitert. Überlagert wird dieser künstliche Raum durch die Fotografie eines Gesichts. Und nun setzen die Mehrfachumstülpungen ein, mit denen Johannes Deutsch seine Traumwelt aufbaut. Das, was wir als sich von uns entfernenden Winkel wahrnehmen, ist in der „wirklichen“ Welt die Ecke eines Holzhauses, die uns dort im Raum entgegenragt: Es ereignet sich Umstülpung Nummer Eins. Ähnliches geschieht mit dem Gesicht. Im Alltag ist ein Gesicht ebenfalls eine räumliche Form, die potenziellen Betrachtern entgegenragt, soll sie sich aber nun dem Winkel, dem fliehenden Raum, anschmiegen, dann muss auch das Gesicht umgestülpt werden: Umstülpung Nummer Zwei ist vollzogen. 
Das gilt aber nur, wenn die Betrachter das Gesicht als ein Gegenüber, als ein Fremdes annehmen. Sobald diese sich mit dem Gesicht identifizieren wie mit einer Hauptakteurin in einem spannenden Film etwa, geschieht die Umstülpung bereits vor dem Bild. Umstülpung Nummer drei wäre die Anpassung des Gesichts der Betrachter an jenes auf den Bildern. Alle, die diesen Schritt vollziehen, werden plötzlich zu Winkelstehern, die in finstere Trichter blicken, wie Johannes Deutsch seine Raumecken nennt. Dieses Identifizierungsspiel öffnet sich zumindest in den dreidimensionalen Objekten zu einer Durchgangsstation. Der Trichter erinnert dann mehr an einen Geburtskanal, die Identifizierung an jene unumgänglichen Schritte, die zu unserer Individuation, manchmal sogar zu unserer Selbstfindung führen; zu der nicht zuletzt die Kunst entscheidende Anlässe bietet. Insofern ist diese Präsentation hier eine Einladung an uns alle.

Kunst nicht vereinnahmen 
Es kann hier niemals darum gehen, den Streit der theologischen Schöpfungslehre mit der Evolutionstheorie der modernen Naturwissenschaften auf dem Rücken eines Künstlers auszutragen. Hier reicht es vollauf, wenn beide Wissenschaften sich an ihre selbst gesteckten Rahmenbedingungen halten. Kein Theologe kann daher sinnvollerweise die Schöpfungsberichte als naturwissenschaftliche Darlegungen interpretieren; umgekehrt wird sich auch die Naturwissenschaft nicht anmaßen, Antworten auf jene „letzten“ Fragen geben zu wollen, die sie vorher per definitionem aus ihrem System ausgeschlossen hat. Wenn diese Voraussetzungen eingehalten werden, können sich Vertreter beider Fächer als Menschen über diese Streitfragen unterhalten. Dann ist es auch sinnvoll, sich mit einem Meister des Und, wie Johannes Deutsch es ist, auseinanderzusetzen. 
Unter dieser Vorgabe ist es auch erlaubt, meine Anregungen zu einem genussvollen Umgang mit den Arbeiten von Johannes Deutsch mit einer Aussage seines Namensvetters Johannes Chrysostomos parallel zu stellen. Er meinte: „Ich will dich zu einer noch leichter verständlichen Kunst führen, z. B. der Malerei, und auch da wird es dir schwindlig werden. Kommt dir nicht alles, was der Maler tut, planlos vor? Was kann er mit den Strichen, mit den Umrissen wollen? Wenn er aber die Farbe aufträgt, dann erscheint dir die Kunst schön – wiewohl du auch so noch kein genaues Verständnis gewinnst.“

Mehr Informationen über Johannes Deutsch und sein Schaffen auf www.johannes-deutsch.at
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