Quelle: http://www.ekd.de/EKD-Texte/2123_kommunitaeten_1997_kloster1.html
Inhaltsverzeichnis
(Quicklink)
1. Einleitung
2. Kurze Information
3. Aus dem Leben der Kommunitäten
4. Der Geistliche Dienst der
Kommunitäten für die Gemeinde
5. Kommunitäten und ihre
Landeskirchen
6. Die Kommunitäten im vereinigten
Deutschland
7. Kommunitäten und Ökumene
8. Andersartige geistliche
Gemeinschaften
9. Abschluss
1. Einleitung
Auf dem Evangelischen Kirchentag gibt es seit Jahren eine Halle
mit der Überschrift: "Evangelisches Kloster". Hier
wirken geistliche Gemeinschaften verschiedener Art zusammen,
Schwesternschaften, Bruderschaften, Kommunitäten. Sie beten
viermal am Tage miteinander und laden alle Besucher ein
mitzubeten. Sie richten im Saal ihres "Klosters" alles
mit besonderer Liebe und Sorgfalt so ein, daß sich alle Besucher
als ihre Gäste zum Verweilen eingeladen fühlen. In den kleinen
Kojen, in denen sie sich je einzeln vorstellen, geht es ihnen
weniger um Werbung für sich selbst als vielmehr darum, ein
gemeinsames Leben in verbindlicher Ordnung als einen möglichen
Weg von Christen heute vorzustellen und jungen Menschen
nahezubringen: als deutlich "alternative" Form eines
gemeinschaftlichen Lebens im christlichen Glauben inmitten unserer
diffuser werdenden Welt und insofern tatsächlich als "Klöster";
aber darin zugleich als lebendige Beispiele dafür, daß
Christsein in fröhlicher Deutlichkeit nicht in einer Abkehr von
der "Welt" geschehen muß, sondern sehr wohl als eine
Weise kritischer Teilnahme. Beeindrucken können die so lebendigen
Gesichter alter Frauen und Männer, die ihr Leben lang im Kloster
gelebt haben. Eindrücklich ist auch das zuversichtliche
Selbstbewußtsein junger Menschen, die ihren Weg ins Kloster
gefunden haben und sich dort wohlfühlen. Beeindrucken kann es,
wie diese Nonnen und Mönche mit beiden Beinen in der
Lebenswirklichkeit von heute ihren festen Stand haben, und wie sie
als Priorinnen und Prioren Leistungswillen und Leistungskraft
ausstrahlen, ohne autoritär zu sein.
Jedoch: Evangelische Klöster, kann es das denn überhaupt
geben? Hat doch die Reformation die Klöster radikal kritisiert
und in ihrem eigenen Bereich ganz abgeschafft! Über 400 Jahre
hindurch hat es evangelische Klöster nicht gegeben, während sich
im selben Zeitraum das katholische Ordenswesen ständig vervielfältigt
und über die ganze Welt ausgebreitet hat. Im Bewußtsein
katholischer Christen haben "Ordensleute" völlig
selbstverständlich ihren festen Platz und große Bedeutung. Für
evangelische Christen dagegen galt es bis vor kurzem geradezu als
feste Regel: Klöster gehören zur katholischen Welt - im
Protestantismus gibt es keine Klöster und kann es keine
Ordensgemeinschaften geben.
Doch in unserem Jahrhundert, in dessen Verlauf sich zwischen
Protestantismus und Katholizismus so vieles verändert hat, gilt
auch diese Regel nicht mehr. Seit 50 Jahren gibt es evangelische
Ordensgemeinschaften und evangelische Klöster; und ihre Zahl ist
ständig im Wachsen. Ihr Name lautet: "Kommunitäten",
das heißt: Gemeinschaften. Denn das ist ihnen allen gemeinsam:
Sie wollen Orte sein, "wo in unserer Zeit des Individualismus
und der Anonymität brüderlich-schwesterliche Gemeinschaft eingeübt
wird (Gal 6,2)"1 . Zugleich aber eben auch Orte, an denen im
Schutz der verbindlichen Ordnungen des gemeinschaftlichen Lebens
die ganz persönliche Eigenart jedes Mitgliedes zu je ihrer
besonderen Entfaltung kommen kann.
Viele Evangelische kennen heute mindestens die Bruderschaft von
Taizé. Sie ist seit Jahrzehnten ein regelmäßiger
"Wallfahrtsort" und Treffpunkt vor allem junger Menschen
aus allen Ländern der Welt. Ein Ort, an dem auch Großstadt-Jugend
von einem Leben im gesungenen Gebet, in Bibelaustausch und Stille
fasziniert wird und hier wie von selbst alle Hemmungen verliert,
selbst daran teilzunehmen. Aber daß es inzwischen allein in
Deutschland mehr als 30 evangelische Kommunitäten und darüber
hinaus eine beachtliche Zahl von Bruder- und Schwesternschaften,
Familienkommunitäten, Basisgemeinden und anderen Gemeinschaften
gibt, ist den meisten immer noch unbekannt. Und doch muß man
sagen: "Die Wiederentdeckung und Erneuerung kommunitären
Lebens gehört mehr und mehr zum Erscheinungsbild (auch) der
evangelischen Christenheit in Deutschland, in Europa und darüber
hinaus in manchen Kirchen der Weltchristenheit".
nach oben
2. Kurze Information
2.1
Das Wort "Kommunität" bezeichnet in einem engeren
Sinn geistliche Gemeinschaften, in denen Christen nach
verbindlichen Ordnungen zusammenleben, die sich freiwillig zur
Annahme der sog. "evangelischen Räte" verpflichtet
haben: Armut als persönliche Besitzlosigkeit in Gütergemeinschaft
(Mk 10,21; Apg 4,32); Keuschheit in Ehelosigkeit (Mt 19,10-12;
1Kor 7,7); Gehorsam als Anerkennung geistlicher Autorität (Mt
23,8; 1Thess 5,12f; Hebr 13,17). Es handelt sich um eine besondere
Lebensform, in der sich diese Christen mit ihrem ganzen persönlichen
Leben Gott ganz hingeben wollen, um Jesus Christus als ihrem Herrn
in allen Lebensbereichen und jederzeit verfügbar zu sein, sowohl
im Dienst für ihn wie darin zugleich im Dienst aneinander und füreinander
(Joh 13,34f; 1Joh 4,11.19-21). Dazu kann man sich nicht selbst
entschließen, sondern es ist eine persönliche Berufung durch
Gott, die ein Mensch hört, wie die Jünger Jesu Ruf in seine
Nachfolge gehört haben, und der er folgt wie sie (Mk 1,16-20); in
der er sich eine längere Zeit hindurch in Teilnahme am
gemeinschaftlichen Leben der Schwestern bzw. der Brüder einlebt,
und die er darin in ständigem Hören auf Gott überprüft, und zu
der er dann in einem feierlichen Versprechen ("Profeß")
vor Gott und vor seinen Mitgeschwistern sein Ja sagt, zunächst für
eine befristete Zeit, und schließlich lebenslang. In der
Anerkennung und vollen Annahme einer solchen Berufung wurzelt die
besondere Gemeinschaft der Mitglieder einer Kommunität: Gottes
persönlicher Ruf an jede und jeden von ihnen hat sie einander
gegeben und anvertraut. Zum Zeichen dessen tragen viele Schwestern
einen Ring, der sie ständig sowohl an das besondere Dienst- und
Liebesverhältnis zu Christus wie damit zugleich an das Dienst-
und Liebesverhältnis zueinander als "Familie Gottes"
erinnert.
2.2
Kommunitäten in diesem Sinn leben zumeist als
Schwesternschaften oder Bruderschaften für sich. Es gibt aber
auch Kommunitäten, in denen zölibatäre Schwestern und Brüder
in einer Gemeinschaft zusammenleben (wie z. B. in der Kommunität
Imshausen). Eine wieder andere Art von Kommunitäten sind
diejenigen, in denen Ehepaare mit und ohne Kinder in gleicher
Verbindlichkeit in einer geistlichen Großfamilie zusammenleben
(wie die Communität Koinonia in Hermannsburg, die
Familienkommunität Siloah in Neufrankenroda und die Familien in
Gnadenthal sowie in der Basisgemeinde Wulfshagenerhütten). Auch
sie führt und hält eine besondere Berufung zusammen. Auch sie
suchen ihrer Lebensform entsprechende Ordnungen, in denen sie eine
volle Verfügbarkeit zum Dienst für Gott und füreinander leben können.
Die verschiedene Lebensform zölibatärer und nichtzölibatärer
Gemeinschaften bedeutet keinerlei geistlichen
"Rangunterschied" zwischen ihnen. Sie erkennen einander
als in der grundsätzlichen Zielrichtung verwandten Zweig von
Kommunitäten an. Die Kommunität Gnadenthal ist dafür ein
Vorbild: Dort leben eine zölibatäre Bruderschaft, eine zölibatäre
Schwesternschaft und eine große Gruppe jüngerer und älterer
Familien in einer "christlichen Dorfgemeinschaft"
zusammen. Sie beten täglich zusammen, arbeiten z. T. zusammen,
feiern zusammen. Ihr Vorbild ist die "Koinonia", die der
Vater des Mönchtums, Pachomius, im 3. Jahrhundert in Oberägypten
gegründet hat.
2.3
In einem weiteren Sinn schließlich gehören zu dem Kreis der
in verbindlich geordneter Gemeinschaft lebenden Christen die
verschiedenen Bruderschaften und Schwesternschaften hinzu, deren
Mitglieder ein normales bürgerliches Familien- und Berufsleben führen,
darin aber bestimmten Regeln folgen, sich gegenseitig helfen und
gemeinsam der Kirche dienen möchten. Dazu zählen vor allem die
Schwestern des Ordo Pacis, die Brüder der Evangelischen
Michaelsbruderschaft sowie die Schwestern und Brüder der
Ansverus-Kommunität und der "Vereinigung vom gemeinsamen
Leben".
2.4
Vorläufer der Kommunitäten sind in einem weiteren Sinn die
Dienstgemeinschaften der Diakonissen in ihren Mutterhäusern, die
im 19. Jahrhundert etwas ganz Neues im Lebensbereich der
evangelischen Kirchen waren und zum Erscheinungsbild des
evangelischen Christentums wesentlich beigetragen haben. Einige
Kommunitäten sind direkt aus Diakonissenhäusern heraus
entstanden wie die Schwesternschaft in Scherfede (Westfalen), die
sich "Diakonissen-Kommunität Zionsberg" nennt. Gleichen
Ursprung haben die Schwesternschaften des Julius-Schniewindhauses
in Schönebeck/Elbe, des Missionshauses "Malche" in Bad
Freienwalde (Brandenburg) und des Evangelischen Schwesternkonvents
"Lumen Christi" in Gößweinstein (Mittelfranken).
Im engeren Sinn ist die bruderschaftliche Bewegung in der
ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts als Ursprung der Kommunitäten
zu sehen. Aus dem Schweizerischen Diakonieverein gingen die
"Brüder und Schwestern vom gemeinsamen Leben" hervor,
die sich in Deutschland mit den verheirateten Geschwistern zur
"Vereinigung vom gemeinsamen Leben im Ökumenischen
Christusdienst" zusammengeschlossen haben. Sie leben heute an
verschiedenen Orten und haben ihren Mittelpunkt im "Ökumenischen
Lebenszentrum Ottmaring" (bei Augsburg), zusammen mit der
Fokularbewegung. Ihr gemeinsames Leben verstehen sie als ein
"Übungsfeld, um für das Geheimnis der einen und ganzen
Kirche dienstbar zu werden, die im dreieinigen Gott schon besteht,
aber im Zusammenhang der ökumenischen Erneuerungsbewegung dieses
Jahrhunderts Wirklichkeit werden will".4 Diese ökumenische
Vision lebt in allen Kommunitäten. Das tägliche Einheitsgebet
der Vereinigung vom gemeinsamen Leben wird heute noch in mehreren
anderen Kommunitäten im gleichen Wortlaut mitgebetet. Darin heißt
es: "Vereinige uns alle mit dir und miteinander in der einen,
alle und alles umfassenden Liebes- und Lebensgemeinschaft deines
heiligen Herzens".
2.5
Die ältesten Kommunitäten sind in der ersten Nachkriegszeit
entstanden unter dem Eindruck der ungeheuerlichen Schuld wie auch
der vielen Leiden und Zerstörungen des Krieges. Manche von ihnen
haben eine unmittelbare Vorgeschichte im Leben der Bekennenden
Kirche während der NS-Zeit. Die Kommunität Imshausen z.B. ist
direkt aus dem politischen Widerstand hervorgegangen. Ihre Gründerin,
Vera von Trott, war eine Schwester des Widerstandskämpfers Adam
von Trott zu Solz. So feiern einige Kommunitäten in diesen Jahren
ihr 50. Jubiläum: 1997 die Evangelische Marienschwesternschaft in
Darmstadt; 1999 werden dann die Kommunität Christusbruderschaft
und 2000 die Communität Casteller Ring folgen. Die jüngsten Gründungen
sind die Schwesternschaft des Trinitatisrings (1977 in Leipzig,
jetzt in Lützschena), das Priorat St. Wigberti (1987 in
Werningshausen, Thüringen), die Familienkommunität Siloah (1991
in Neufrankenroda, Thüringen), die Diakonische Schwesternschaft
Wolmirstedt (seit 1996 im Kloster Barsinghausen) und die
Basisgemeinden in Wulfshagenerhütten (seit 1981) und in Hamburg
(seit 1992).
Die Mitgliederzahlen sind verschieden. Es gibt einige große
Gemeinschaften mit über 100 Mitgliedern wie die
Marienschwesternschaft und die Kommunität Christusbruderschaft in
Selbitz; eine Reihe von Gemeinschaften um 50 wie z. B. die
Communität Casteller Ring, die Schwesternschaft des
Julius-Schniewind-Hauses und die Christusträger-Brüder und
-Schwestern; sowie zahlreiche kleinere Gemeinschaften und auch
ganz kleine Zellen wie die Kommunität "Freue dich" in
Gnesau (Österreich) und die Communität El Roi in Basel mit drei
Schwestern.
Die Zahlen als solche besagen aber wenig im Blick auf die
Bedeutung (wie immer im Reiche Gottes!). Es gibt einerseits kleine
Gemeinschaften mit erstaunlich kräftiger und weiter Ausstrahlung
wie z. B. die Kommunität Imshausen, die Cella Hildegardis, die
Diakonissenkommunität Zionsberg oder die Familienkommunität
Siloah, die mit nur drei jungen Familien und wenigen weiteren
Helfern vom Frühsommer bis zum Spätherbst Hunderte von arbeits-
und heimatlos gewordenen Jugendlichen aus vielen Ländern
Osteuropas auffängt und in Sommer-"Camps"
seelsorgerlich-missionarisch betreut. Andererseits unterhalten die
zahlenmäßig großen Gemeinschaften ihrerseits kleine auswärtige
Zellen wie etwa die CCR ihre Stadt-Stationen in Augsburg, Nürnberg,
Würzburg, Hildesheim und neuerdings Erfurt; oder die Kommunität
Christusbruderschaft im Kloster Wülfinghausen, in Magdeburg sowie
in Bayreuth und Egensbach, Kulmbach und München.
Missionsstationen in vielerlei Ländern der Dritten Welt haben z.
B. die Christusträgerbrüder, von denen eine Gruppe in
Kabul/Afghanistan aushält!, und die Christusträgerschwestern,
die in Rawalpindi/Pakistan ein Leprahospital für Kranke aus der
gesamten Umgebung und in Kudus im Landesinneren Jawas eine
klinische Ambulanz sowie in Argentinien zwei Heime für Kinder aus
sozial zerstörten Verhältnissen unterhalten. Die Evangelische
Marienschwesternschaft hat seit 1980 24 Außenstationen
("Wiegen") in vielen Ländern der Welt gegründet.
Andere Kommunitäten leben mit einer großen Zahl junger Menschen
zusammen, um ihnen zur Selbstfindung im Glauben zu helfen: in
Schulen oder Lebenszentren wie etwa die Schwestern des
Missionshauses Malche, die Communität Adelshofen, die
"Christen in der Offensive (OJC)" oder die Kommunität
Koinonia in Göttingen. Die Kommunität Gnadenthal hat 1990 in
Hennersdorf/Sachsen einen großen Handwerksbetrieb und eine
Familienwohn- und Begegnungs- und Tagesstätte gegründet und baut
gleichzeitig in Volkenroda/Thüringen das älteste deutsche
Zisterzienserkloster, von dem nur noch bauliche Reste bestanden,
wieder auf, in dem eine europäische Jugendbildungsstätte
entstehen soll.
2.6
Ein sprunghaftes Wachstum, wie es die ältesten Kommunitäten
zu ihrer Entstehungszeit nach dem 2. Weltkrieg erleben durften,
ist zwar gegenwärtig nirgendwo zu verzeichnen. Nicht wenige
Gemeinschaften aber erleben mit Dankbarkeit und Freude ein echtes
Interesse junger Menschen, die für eine befristete Zeit mit ihnen
leben ("Kloster auf Zeit"), und von denen dann immer
wieder einige sich ihnen anschließen. So gibt es Kommunitäten,
die Nachwuchssorgen nicht kennen, - freilich auch solche, deren
Zahl seit Jahren nicht gewachsen ist. Aufs Ganze gesehen bekommen
gegenwärtig auch Kommunitäten zu spüren, daß viele junge
Menschen zwar an neuen Formen "unbürgerlichen"
Zusammenslebens sehr interessiert sind, sehr wenige aber das
Wagnis fester Bindung und Verbindlichkeit eingehen mögen.
nach oben
3. Aus dem Leben der Kommunitäten
3.1
In all diesen verschiedenen geistlichen Gemeinschaften ist der
Gottesdienst die Mitte ihres Lebens. Die "lebendige
Stimme" der Heiligen Schrift und die Feier des Heiligen
Abendmahls gehören überall fest zusammen und sind die geistliche
Nahrung, von der sie im gemeinsamen Alltag leben. Nicht wenige
Kommunitäten feiern auch unter der Woche Wort- und
Sakramentsgottesdienste, einige täglich (z. B. in Gnadenthal und
in der Cella St. Hildegard). Es ist sehr eindrucksvoll und beglückend,
als Gast zu erleben, wie hier Christen ihren Gottesdienst herzlich
lieben und ihn mit Freude miteinander halten. Die Communität
Casteller Ring auf dem Schwanberg bei Würzburg hat ihre St.
Michaelkirche so gebaut, daß in den Gottesdiensten und
Tagzeitengebeten eine große Gemeinde von Gästen rings um die
Schwestern in der Mitte sitzen und so leicht mit ihnen mitsingen
und mitbeten können: ein lebendiges Zeichen für die Bedeutung
und Funktion, die allen Kommunitäten für ihre kirchliche
Umgebung zukommt.
Sozusagen die Verlängerung des Gottesdienstes in den Alltag
hinein sind die täglichen Gebetszeiten in der Morgenfrühe, zur
Mittagszeit, am Abend und zur Nacht. Die Formen sind je nach
Herkunft verschieden. Bemerkenswert ist, daß auch aus dem
Pietismus hervorgegangene Gemeinschaften liturgische
Traditionsformen annehmen, in denen das freie Gebet seinen festen
Ort findet. Andererseits entdecken wiederum die hochkirchlichen
geprägten Kommunitäten die belebende Wirkung
charismatisch-spontaner Gestaltungselemente. Die zentrale
Bedeutung der Gebetszeiten zur Strukturierung des Tages ist für
alle Kommunitäten gleich. Durchweg sind die Psalmen als das Gebet
der Kirche durch alle Jahrhunderte hindurch entdeckt. Daneben wird
aus dem kirchlichen Gesangbuch gesungen, aber auch aus dem
Reichtum altkirchlicher und mittelalterlicher Hymnen sowie aus dem
lebendigen Schatz von Liedern der Gegenwart, zu dem einige
Kommunitäten durch eigene Produktionen beitragen. Die
verschiedenen Liederbücher der Kommunität Gnadenthal und der
Christusbruderschaft haben in vielen Gemeinden weite Verbreitung
gefunden.
Ein wesentliches Element des täglichen Gebets ist die Fürbitte:
für die Kirche in den umgebenden Gemeinden und Landeskirchen
sowie für die Kirchen der ganzen Ökumene; für die Welt in der Nähe
und in der Ferne; für viele Einzelpersonen und -gruppen, die sie
um Fürbitte gebeten haben oder um deren Probleme sie wissen; und
nicht zuletzt auch für die anderen Kommunitäten. Auch die persönliche
Segnung Einzelner hat in manchen Kommunitäten ihren festen Ort.
Eine bemerkenswerte Absprache besteht zwischen der Badischen
Landeskirche und der Kommunität Adelshofen: Hier werden regelmäßig
Fürbitten aufgenommen, deren Anliegen ihnen von der
Kirchenleitung genannt werden. Das könnte auch für andere
Landeskirchen zum Vorbild werden. Sollte doch gerade für eine
evangelische Kirche, die ganz aus dem Glaubensvertrauen auf Gottes
Gnade und auf die schöpferischen Kräfte seines Geistes lebt, das
Gebet um ihre Erneuerung von Grund auf ein entscheidender Anfang
der Erneuerung selbst sein!
3.2
Das große biblische Vorbild kommunitären Gemeinschaftslebens
ist das Leben der Urgemeinde nach Apg 2,42. Daran läßt sich
erkennen: Die Kommunitäten verstehen sich selbst als Kirche -
zwar als Kirche in einer besonderen Form gemeinschaftlichen
Lebens, in der sie von Kirchengemeinden charakteristisch
unterschieden sind; aber keineswegs als Gruppen am Rande oder gar
außerhalb der verfaßten Kirche. Es wäre völlig falsch,
Kommunitäten etwa als "Sekten" zu verstehen. Treffend
ist die Bezeichnung der Kommunitäten als "Mikrokosmos der
Kirche" (Taizé). "Soviel Selbständigkeit gegenüber
den landeskirchlichen Organisations- und Verwaltungsstrukturen
Kommunitäten ihrer besonderen geistlichen Lebensart wegen auch
brauchen, so bewußt und energisch ist ihr Wille, zur Kirche zu
gehören, der Kirche zu dienen und darum von der Kirche anerkannt
zu werden.
3.3
Zum Leben der Kommunitäten gehört eine feste Ordnung des
gemeinschaftlichen Lebens. Nicht überall ist diese in einer
schriftlich ausgeführten "Regel" beschrieben.6 In nicht
wenigen Kommunitäten befinden sich die Ordnungen (noch) im
Stadium "mündlicher Überlieferung", die von der
Ursprungszeit her in bestimmten Entscheidungen, Regelungen und
Ermutigungen der charismatischen Gründerpersönlichkeiten bewahrt
werden und sich im lebendigen Vollzug des gemeinsamen Alltags
immer neu bewähren sollen oder auch verändert werden müssen.
In den Grundlinien stimmen all diese Ordnungen überall überein.
Der Eintritt in eine Kommunität ist grundsätzlich eine Sache des
Gehorsams gegenüber einem persönlichen Ruf Christi in seine
Nachfolge auf diesem Weg und in diese Gemeinschaft hinein. Es
bedarf darum einer hinreichend langen Zeit der Klärung, ob es
sich wirklich um einen solchen Ruf handelt und ob es wirklich
diese Gemeinschaft dieser Brüder oder Schwestern ist, für die er
ergangen ist, - sowohl auf seiten der Eintrittswilligen wie auch
von seiten der betreffenden Kommunität. Meist ist diese Zeit in
zwei Phasen gegliedert: eine erste kürzere des gegenseitigen
Kennenlernens im Mitleben (Postulat), danach eine zweite längere
Phase im Miteinanderleben (Noviziat), zu der auch ein intensiver
Unterricht gehört, der dem Verstehen der Ordnung des
Zusammenlebens gewidmet ist, vor allem einer persönlichen Einführung
in alle geistlichen Vollzüge (Formen des Gebets, der persönlichen
Schriftbetrachtung, der Meditationsübungen, natürlich auch eine
Einführung in den Gottesdienst), aber auch zum Beispiel über die
Geschichte der Kommunität sowie überhaupt des Ordenswesens. Auch
ein regelmäßiger Austausch mit Novizinnen anderer Gemeinschaften
ist vorgesehen. Die endgültige, lebenslang gültige Aufnahme wird
in einem feierlichen "Profeß"-Gottesdienst begangen.
Der Ruf Christi an jedes einzelne Mitglied einer Kommunität
bedeutet für ihr Verhältnis zueinander: Jeder ist jedem vom
Herrn gegeben und als sein Bruder, seine Schwester anvertraut.
"Die brüderliche Liebe untereinander sei herzlich, einer
komme dem andern in Ehrerbietung zuvor" - diese Mahnung des
Apostels (Röm 12,10) ist im alltäglichen Zusammenleben in einer
so nahen Gemeinschaft sehr konkret die entscheidende Regel, die es
täglich neu einzuüben gilt; aber weil es - ebenso konkret -
Christus ist, der die Schwestern und Brüder einander gegeben hat
und gibt, ist in dieser Regel zugleich auch seine Verheißung
enthalten (vgl. Joh 13,14f; 1.Joh 4,10.19). Die zölibatäre
Lebensform hat ihren eigentlichen Sinn (nicht in einem persönlichen
Verzicht, sondern) darin, daß die Schwestern und Brüder frei
sind für die geschwisterliche Liebe zueinander, die in allen
Kommunitäten eine spezifische Kultur (freilich auch spezifische
Probleme!) hat. Das Leben in Ehelosigkeit will ein
Sich-Verschenken an die Liebe Christi sein, als ungeteilte Bindung
in Freiheit und Freude an Gott, aus der die Freiheit und Freude an
den Geschwistern der Kommunität erwächst, die Gott jedem ihrer
Mitglieder wechselseitig gibt und anvertraut. Auch das gemeinsame
Eigentum nötigt praktisch immer neu zur Übung geschwisterlicher
"Solidarität". Im Rat der Schwestern bzw. Brüder, dem
nur die voll Aufgenommenen angehören, hat jede Stimme gleiches
Gewicht. Der Gehorsam gilt grundsätzlich der Gemeinschaft als
ganzer gegenüber und in diesem Sinne jeder der Schwestern oder Brüder.
Sein Kriterium ist für jedes Mitglied nach 1.Kor 12 der
"Nutzen" des Leibes als ganzen. Für die zur Leitung gewählten
Schwestern (Priorin/Prior) gilt dies in besonderem Maß. Sie (bzw.
er) kann und darf nur nach intensiver Beratung aller Mitglieder
Entscheidungen treffen, die dann für alle gelten. Die Mitglieder
ihrerseits respektieren eine solche Entscheidung, weil solcher
Gehorsam gegenüber der Priorin/dem Prior in der Sache Gehorsam
gegenüber der Gemeinschaft als ganzer und als solcher wiederum
Gehorsam gegenüber Christus als dem alleinigen Haupt seines
Leibes ist. Die zahlenmäßig größeren Kommunitäten
untergliedern sich in kleine familienartige Zellen, deren
Leiterinnen das engste Beratungsgremium für die Priorin sind.
3.4
Nach dem benediktinischen Prinzip "ora et labora"
(Bete und arbeite) wird jedem Mitglied nach seiner Eignung und
Begabung sein Part bei der Bewältigung der Arbeiten bestimmt, die
die Kommunität als ganze auf sich nimmt. Die liebevolle, persönlich-bedachte
Beherbergung von Gästen ist nach ältester Klostertradition eine
der zentralen Aufgaben jeder Kommunität. Ihr gilt der größte
Teil der täglich anfallenden Arbeit, von den verschiedenen
hauswirtschaftlichen bis zu geistlichen Diensten - der Anleitung
zur Bibelbetrachtung und zum Gebet (z. B.
"Herzensgebet") und Meditation für Einzelgäste,
Bibelarbeiten und -gesprächen bei Gemeinderüstzeiten, religionspädagogischer
Arbeit mit Kindern und Konfirmanden, oder auch verschiedenen
Angeboten persönlicher Seelsorge und Beichte. Kleinere Kommunitäten
wie z. B. der St. Johannes-Schwesternkonvent, die
Diakonissenkommunität Zionsberg, die Schwestern der
Christusbruderschaft im Kloster Wülfinghausen, die
Jesu-Weg-Schwestern oder die Schwestern der Cella Hildegardis sind
durch solche Rüstzeiten in ihrem eigenen Hause zuweilen bis an
den Rand ihrer physischen Kräfte beansprucht. Einige Kommunitäten
können nicht existieren, wenn nicht Mitglieder in auswärts ausgeübten
Berufen zum gemeinsamen Einkommen beitragen. Oft verbindet sich
diese ökonomische Notwendigkeit mit der diakonischen Aufgabe, die
die meisten Kommunitäten ihnen gegeben wissen. So sind es
gemeindediakonische und -pädagogische oder therapeutische und
pflegerische Berufe, in denen einzelne Mitglieder (z. B. der
Lumen-Christi-Schwesternschaft und des Johanneskonvents) tätig
sind. Ordinierte Pfarrer versehen als Mitglieder ihrer Kommunität
den pfarramtlichen Dienst ihrer Kirchengemeinde (z. B. der Prior
der Wigbertibrüder, und der Leiter der Familien-Kommunität
Siloah). Ein anderes wichtiges Motiv ist, daß durch aktive
Teilnahme einzelner Mitglieder an der bürgerlichen Arbeitswelt
die Kommunität als ganze an den Erfahrungen, Problemen, Nöten
und auch Leiden ihrer Umwelt teilhat.
Nicht wenige Kommunitäten bieten auch Dienste bei
Evangelisationen an. Darauf sind zum Beispiel die Christusträger-Brüder
spezialisiert, die dazu ihre berühmten drei Bands ausbilden, mit
deren Musik sie viele Menschen anziehen, mit denen sie dann während
der Evangelisationswoche persönlichen Kontakt gewinnen. Wer heute
bei dem Wort "Evangelisation" zurückschreckt, möge
einmal die Gemeindepfarrer der Kirchengemeinden konsultieren, in
deren Bereich und mit deren voller eigener Teilnahme diese
Evangelisationen geschehen: wie zeitgemäß und verständnisvoll für
die Lebensprobleme moderner Menschen hier missioniert wird!. Auch
die Pfarrer und Schwestern des Julius-Schniewindhauses sowie die
Communität Adelshofen halten ständig Evangelisationen in
Kirchengemeinden ihrer und benachbarter Landeskirchen. Der
Evangelisation dient auch die Arbeit der Evangelischen
Marienschwesternschaft. Sie konzentriert sich auf einen
umfangreichen internationalen Buch- und Schriftenversand sowie ein
zahlreiches Angebot selbstproduzierter Filme und Videos in
verschiedenen Sprachen, die im Fernsehprogramm vieler
Sendeanstalten in Nord- und Südamerika, Australien und anderen Ländern
der Welt ihren festen Platz gewonnen haben und besonders zu
Weihnachten sehr viele Menschen erreichen.
Auch die Aussendung zu missionarischen Diensten in
verschiedenen Ländern der Dritten Welt und der Kontakt zu diesen
Stationen ist ein Arbeitszweig einiger Kommunitäten. Vor allem
sind hier die Christusträgerschwestern und -brüder zu nennen,
die darin ihre Hauptaufgabe sehen. Auch die Kommunität
Christusbruderschaft und die Communität Koinonia unterhalten
eigene Missionsstationen.
Besondere Erwähnung verdient die vielfältige Hilfe, die seit
Jahren die Lukas-Kommunität für strahlengeschädigte Kinder und
Erwachsene in der Ukraine leistet. Daß sich einige andere
Kommunitäten an den Kosten beteiligen, ist einer der Erweise für
das geschwisterliche Verhältnis der Kommunitäten untereinander.
Im Blick auf diesen ganzen Bereich vielfältiger diakonischer
und missionarischer Arbeit gilt: Den Grundsatz im Leben aller
Kommunitäten, daß "dem Gottesdienst und Gebet nichts
vorzuziehen ist" (Regel Benedikts), kann man nur verstehen
und würdigen, wenn man das vielfältige Engagement diakonischer,
missionarischer und seelsorgerlicher Art als unmittelbar daraus
hervorgehend und eng und wesenhaft damit verbunden wahrnimmt und
versteht. "Leiturgia" (Gebet), "Martyria"
(Zeugnis), "Diakonia" (dienende Liebe) und "Koinonia"
(geschwisterliche Gemeinschaft) gehören in allen Kommunitäten
wesenhaft-eng zusammen. "Bruderschaft ist Diakonie an der
Welt ... Innen und Außen, Kontemplation und Weltverantwortung
werden eins, man kann sie nicht mehr unterscheiden, noch weniger
vorzugsweise bewerten"7 Auch diejenigen Kommunitäten, die
sich im eigenen Leben ganz auf Kontemplation konzentrieren, z. B.
die Cella St. Hildegard und das Gethsemanekloster, fallen aus
diesem Zusammenhang zwischen "Kontemplation und Aktion"
nicht heraus.
3.5
Auch der vielfältige kulturelle Beitrag der Kommunitäten ist
beachtlich. Einige haben bedeutende Künstler in ihrer Mitte, die
Christusbruderschaft Selbitz die Malerin und Dichterin Sr.
Christamaria Schröter und den Maler Br. Benedikt Traut, die
Kommunität Gnadenthal den Maler Br. Andreas Felger. Diese
Kommunität unterhält neben dem Felger-Atelier eine eigene
Galerie mit bedeutenden Ausstellungen zeitgenössischer Kunst
sowie einen eigenen Verlag mit einem ästhetischen
Schwerpunktprogramm. Die Kunstkarten von Andreas Felger und von
Christamaria Schröter sind sehr beliebt und weit verbreitet. Die
Verbindung von Meditationsbildern und -texten in den Büchern von
Christamaria Schröter sind kostbare Zeugnisse einer hochsensiblen
Spiritualität, wie sie in solcher Dichtheit (heute wie zu allen
Zeiten) wohl nur in Klöstern gedeihen kann. Die in ihrer Art
einmalige Anlage des Passionswegs Jesu im Garten der
Marienschwesternschaft in Darmstadt ist inzwischen weltbekannt.
Kopien sind in mehreren Ländern Europas, Amerikas, Australiens
und Asiens aufgestellt und finden dort großes Interesse auch in
nichtchristlichen Bevölkerungskreisen. Hausmusik, Kunstgewerbe,
Laienspiele sind in vielen Gemeinschaften zuhause. Das Haus
Koinonia in Dettingen und die OJC in Reichelsheim haben eigene
Theatersäle. Nicht selten verbindet sich mit der Liebe zu den Künsten
auch ein naturästhetisches Engagement in der Anlage von Gärten
(Dettingen, Schniewindhaus!), in der Landschaftsgestaltung (Imshausen,
Marienschwesternschaft) sowie auch in ökologischer Landwirtschaft
(Gnadenthal, Imshausen). Auch Beiträge politisch-diakonischer Art
finden sich im Bereich von Kommunitäten. In Imshausen z. B.
befindet sich die Tagungsstätte der Adam-von-Trott-Stiftung, und
neuerdings arbeitet die dortige Kommunität mit dem "Verein
Ökumenischer Dienst im konziliaren Prozeß" zusammen, der
Ausbildungskurse zum Schalom-Diakonat im Schloß Imshausen
veranstaltet. Auch in der kommunalpolitischen Praxis ihrer
Umgebung arbeitet die Kommunität mit, vor allem was das
Zusammenleben mit Minderheiten betrifft. In diesem Zusammenhang
verdient auch die Laurentius-Bruderschaft Beachtung, in der sich
Aktivitäten nach außen im Zeichen von "Frieden,
Gerechtigkeit, Bewahrung der Schöpfung" mit einer besonderen
gemeinschaftlichen Lebensform als moderne Großfamilie verbinden.
Ähnliches gilt auch für die beiden
"Basisgemeinden", von denen sich die Wulfshagenerhütten
für soziale Versöhnung (in ihrer Berliner Stadtstation) und
Umweltschutz, die in Hamburg für Schutz und Hilfe für
Asylbewerber einsetzen.
3.6
Die größeren Kommunitäten haben einen Kreis von Menschen um
sich, die sich ihnen geistlich zugehörig wissen und sich zu
entsprechendem Leben verpflichten: Die Christusbruderschaft
Selbitz z. B. hat ihre "Tertiärgeschwister", die
Communität Casteller Ring ihre "Oblaten" und die
Evangelische Marienschwesternschaft ihre
"Dornenkranz"-Schwestern.
nach oben
4. Der Geistliche Dienst der Kommunitäten für
die Gemeinde
Die Kommunitäten wissen sich ihrer evangelischen Kirche nicht
nur völlig selbstverständlich verbunden, sondern sie leisten
auch unschätzbare geistliche Dienste. Eine große Zahl von
Gemeindegliedern findet hier eine Wirklichkeitsgestalt von Kirche,
die sie in ihrem eigenen Umkreis so grundlagentreu und zugleich
gegenwärtig-lebendig oft nicht erleben. "Wir wollen durch
unsere eigene Existenz verkündigen, daß es sich lohnt, sich mit
Gott einzulassen" (Sr Maria Pfister CCR), - das ist sicher
ein Selbstzeugnis von hoher Repräsentanz für alle Kommunitäten.
Nicht umsonst haben drei süddeutsche Landeskirchen ihr neugegründetes
gemeinsames Institut zu einer geistlichen Rekreation von Pfarrern
im Lebenskreis einer Kommunität angesiedelt: das "Haus
Respiratio" auf dem Schwanberg.
Was man (u.a.) in den Kommunitäten lernen kann, läßt sich in
ein paar ausgewählten Punkten andeuten:
4.1
Man kann lernen, was mit den "schönen Gottesdiensten des
Herrn" (Ps 27,4) gemeint ist: "Wirklich, Gott selbst ist
unter euch!" (1.Kor 14,25). Liturgie ist nicht deswegen
"schön", weil sie schön gesungen wird, sondern sie
kann nur schön gesungen werden, wo die geistliche Realität des
Daseins Gottes in seinem Wort und Sakrament von einer Gemeinschaft
von Christen bezeugt und gefeiert wird, die in fröhlichem Ernst
davon schlicht überzeugt und durchdrungen sind. Die Regel
Benedikts wird im eigenen Alltag ernstgenommen: "Dem Gebet
ist nichts vorzuziehen".
4.2
Kommunitäten sind "Schulen des Gebets". Man kann
dort ebenso lernen, gemeinsam mit der Kirche aller Zeiten mit den
biblischen Psalmen als dem Gebetbuch Jesu und der Apostel zu
beten, wie mit dem ureigenen Herzen in Gottes ewigem Erbarmen eine
Ruhe zu finden, die in der Welt sonst nirgendwo zu finden ist.
Lautes Singen und tiefstille Meditation liegen ganz nahe
beieinander. Das Gethsemanekloster in Goslar-Riechenberg und die
Cella St. Hildegard sind z. B. Orte, an denen besonders das
schweigende Gebet ("Herzensgebet") sowie die stille
Meditation biblischer Texte und Bilder gelernt werden kann.
4.3
Als Orte lebendigen Gottesdienstes und als "Schulen des
Gebets" gewinnen Kommunitäten mehr und mehr Bedeutung als
Lernorte für Vikarinnen und Vikare in ihrer Ausbildung und für
Pfarrkonvente.
4.4
Kommunitäten können ihre Gäste erfahren lassen, wie moderne
Menschen in verbindlicher Gemeinschaft als Christen miteinander
leben und darin in einer Tiefe sinnvolles Leben erleben können, -
nicht in einer idealen harmonischen Scheinwelt, wohl aber in
konkreter Verwirklichung "versöhnter Verschiedenheit",
wie sie im Kraftfeld der Vergebung Gottes zur Lebensform fehlsamer
Menschen werden kann. Da bewährt sich eben in der Praxis: Wem
viel vergeben worden ist, der wird auch fähig, viel zu lieben (Lk
7,47).
4.5
Alle Kommunitäten haben die buchstäblich lebenschaffende und
lebenerneuernde Kraft der Einzelbeichte für sich selbst entdeckt
und sind darum (seltene!) Orte in unserer evangelischen Kirche, an
denen man sehr liebevoll in die Schule des Beichtens eingeführt
wird und darin begleitet werden kann.
4.6
Wenn allgemein gilt, daß zur Seelsorge "kompetent"
nur werden und bleiben kann, wer selbst aus ihr lebt, so gilt das
für die vielfältigen Seelsorge-Angebote der Kommunitäten in
besonders dichter Weise. Zu erwähnen ist hier u.a. die von den
Jesuiten übernommene Begleitung persönlicher Exerzitien sowie
die "Gebetsseelsorge", die in der Christusbruderschaft
in Selbitz und Kloster Wülfinghausen gelernt werden kann.
4.7
In den meisten Kommunitäten leben drei Generationen in alltäglicher
Nähe miteinander. Es gibt sonst kaum noch Orte, an denen man dies
so selbstverständlich-dicht erleben kann. Im Missionshaus Malche
z. B. kann man sehr eindrücklich miterleben, wie jeden Mittag
junge Schülerinnen und Schüler mit 80-jährigen Schwestern an
einem Tisch zusammen essen und einander viel zu sagen haben.
4.8
Kommunitäten leben mit der ständig gegenwärtigen Erinnerung
an ihre Ursprünge und in einem "hautnahen" Verhältnis
mit ihrer Geschichte wie auch mit der Geschichte des Mönchtums
insgesamt. In der zunehmenden Geschichtslosigkeit unseres
allgemeinen Bewußtseins werden sie zusehens zu Orten, an denen
man neu lernen kann, mit der Geschichte zu leben, der man faktisch
zugehört.
nach oben
5. Kommunitäten und ihre Landeskirchen
5.1
Das Verhältnis der Landeskirchen zu den Kommunitäten ihres
Bereichs ist inzwischen durchweg frei von den Berührungsreserven
der Anfangszeit. Umgekehrt ist es für die Kommunitäten nach wie
vor von sehr großer Bedeutung zu wissen, daß sie von ihren
Landeskirchen in ihrer Eigenart anerkannt und geschätzt werden.
Dafür sind die Erklärung der Bischofskonferenz der VELKD vom Mai
1976 und der Beschluß der 7. Synode der EKD auf ihrer 7. Tagung
im November 1990 wichtige Marksteine.
Zum ersten Mal seit der Reformation hat eine evangelische
Bischofskonferenz ordensmäßige Gemeinschaften innerhalb der
Reformationskirchen als legitime Form christlichen Lebens
anerkannt: "Dankbar stellen wir fest, daß diese Kommunitäten
als Glieder der lutherischen Kirche auf der Basis der Heiligen
Schrift stehen und die Rechtfertigung allein durch den Glauben
leben wollen ... Kommunitäres Leben, das von solchem Geist erfüllt
ist, sehen wir als eine Kraft zu kirchlicher Erneuerung an, die
zusammen mit bewährten Formen herkömmlichen Gemeinde- und
Gemeinschaftslebens die Kirche verlebendigen kann."9 Und zum
ersten Mal hat die Synode der EKD für alle evangelischen
Landeskirchen in Deutschland die Bedeutung der Kommunitäten für
das Leben und die Erneuerung der Kirche hervorgehoben: "Sie
(die Synode) richtet ihren Dank auch an die kommunitären
Gemeinschaften für den Dienst, den sie zeichenhaft für die ganze
Kirche tun. Sie verbindet damit die Bitte, die Kommunitäten mögen
sich weiterhin als Teil der größeren kirchlichen Gemeinschaft
betrachten, den Austausch mit Gemeinden und Gruppen pflegen,
interessierten, suchenden und beladenen Menschen einen Ort zum
Aufatmen gewähren, den Dienst der Fürbitte für Kirche und Welt
in Treue wahrnehmen und die Erinnerung an die ökumenische Weite
der christlichen Berufung wachhalten. Die Synode bittet die
Gliedkirchen, auch künftig den kommunitären Gemeinschaften ihre
Aufmerksamkeit zuzuwenden. Sie bittet den Rat, alsbald wieder
einen Beauftragten für die evangelischen Kommunitäten zu
bestellen".
5.2
Inzwischen darf die Frage als theologisch geklärt gelten, ob
Ordensgemeinschaften und Klöster im Lebensbereich der
evangelischen Kirche überhaupt möglich seien, wo doch in den
Bekenntnisschriften die Unvereinbarkeit evangelischer
Rechtfertigungslehre mit "Klostergelübden" ausdrücklich
erklärt worden ist (Augsburgisches Bekenntnis Artikel 27;
Apologie 27; Schmalkaldische Artikel 3 und 14). Damals freilich
richtete sich Kritik und Protest der Reformatoren vor allem gegen
eine verbreitete Lehre, nach der ein Leben nach den
"evangelischen Räten" (Armut, Ehelosigkeit, Gehorsam -
s.o. 2.1) einem höheren geistlichen Stand zu verdienen vermöge,
über den durch die Taufe allen Christen geschenkten hinaus: einem
"Stand der Vollkommenheit". Darin sahen die Reformatoren
einen tiefen Widerspruch gegen das biblische Evangelium der
Rechtfertigung aller Glaubenden allein durch Gottes Gnade, allein
durch die Heilstat Jesu Christi am Kreuz und also allein durch den
Glauben an ihn. Hinzu kamen allerlei schwere Mißbräuche
innerhalb des damaligen Klosterlebens, durch die sie sich in
diesem Urteil bestärkt sahen. Die evangelischen Kommunitäten
heute haben die Tradition monastischen Lebens nach den
"evangelischen Räten" neu aufgenommen in dem Wissen, daß
man als evangelischer Christ auf dem Boden der biblischen
Rechtfertigungslehre sehr wohl mit Profeß und Ordensregel leben
kann, ohne zu meinen, damit "bessere Christen" zu sein.
Im Alltag ihres engen Zusammenlebens in verbindlicher
Geschwisterschaft verdichten sich sogar Erfahrungen von Anfechtung
und Schuldigwerden in besonderer Weise, - ebenso aber auch immer
neue Erfahrungen, wie durch Gottes Vergebung und durch die Hilfe
seines Geistes ein Miteinanderleben in Armut, Keuschheit und
Gehorsam in Freiheit und Freude gelingen kann. Eben darin werden
sie bestärkt durch die Gemeinsamkeit mit katholischen
Ordensgemeinschaften, die heute mit dem Zerrbild monastischen
Lebens, das damals den Reformatoren vor Augen stand, nichts mehr
zu tun haben. Was die Rechtfertigung allein durch Christi
barmherzige Liebe anlangt, gibt es heute kaum anderswo so tiefe
Gemeinsamkeiten zwischen evangelischen und katholischen Christen
wie zwischen Kommunitäten und Ordensgemeinschaften. So konnte
bereits 1980 anläßlich des 450. Jubiläums des Augsburgischen
Bekenntnisses zum Thema "Mönchtum und Ordensleben" nach
Artikel 27 von beiden Seiten gemeinsam erklärt werden: "Monastische
Formen gemeinschaftlichen Lebens als eine Weise entschiedener
Verwirklichung des Evangeliums sind für Katholiken und Lutheraner
theologisch wie praktisch eine legitime Möglichkeit, auch wenn
die Interpretation im einzelnen beim gegenwärtigen Stand des
Gesprächs - auch innerhalb des Luthertums - noch offen
bleibt".
5.3
Nach den VELKD- und EKD-Beschlüssen hat die Ev.-Luth. Kirche
in Bayern durch ihren Landesbischof im Dezember 1990 die zehn
evangelischen Kommunitäten in ihrem Bereich gebeten, ein
"Statement" zur ekklesiologischen Standortbestimmung
kommunitären Lebens vorzulegen, das als Grundlage für ein
dauerhaftes Vertrauensverhältnis dienen kann. Dies ist im Mai
1991 geschehen. Das Statement mit 9 Punkten ist im Einvernehmen
mit der Kirchenleitung veröffentlicht worden. Dies ist ein
beispielhafter Vorgang, der in der gesamten EKD von Bedeutung sein
dürfte. 12 Ein nächster Schritt könnte darin bestehen, daß
alle anderen Landeskirchen, in deren Bereich Kommunitäten leben,
sich dieser Grundsatz-Erklärung anschließen.
nach oben
6. Die Kommunitäten im vereinigten
Deutschland
6.1
Zur Zeit der Getrenntheit Deutschlands, insbesondere seit dem
Bau von Mauer und Stacheldraht 1961, haben sich die Kommunitäten
in der BRD und in der DDR völlig selbstverständlich in einem
geschwisterlichen Verhältnis gewußt und dieses je nach den
bestehenden Möglichkeiten praktiziert. An den Kommunitätentreffen
Ost, die in der Regel in Polen stattfanden, waren immer
westdeutsche Gemeinschaften vertreten und beteiligt (wie übrigens
auch anglikanische Ordensgemeinschaften). Und zwischen den
einzelnen Kommunitäten gab es einen ständigen Besuchskontakt.
Seit dem Fall der Mauer ist das anders geworden. Inzwischen gehören
die ostdeutschen Kommunitäten zur Konferenz der
Leitungsverantwortlichen (KEK). Das ist bei dem großen akuten
Beratungsbedarf der ostdeutschen Gemeinschaften (s.o.) von
erheblicher praktischer Bedeutung.
6.2
Beachtenswert ist, in welchem Ausmaß inzwischen westliche
Kommunitäten im Osten Deutschlands und auch umgekehrt ostdeutsche
Gemeinschaften im Westen tätig sind. Die Kommunität Gnadenthal
hat seit 1990 in Hennersdorf/Sachsen ein "Werk- und
Studienzentrum" aufgebaut. In einer Holzfabrik wurde eine Großschreinerei
als Zweigbetrieb der Gnadenthaler errichtet und um sie herum die
Errichtung anderer handwerklicher Betriebe angeregt, mit
erheblicher Folgewirkung für den Arbeitsmarkt der umgebenden
Region. Zugleich hat die Kommunität die dortige denkmalgeschützte
"Alte Spinnerei" völlig neu renoviert und als
Wohngemeinschaft für Famillien und als Tagungsstätte
eingerichtet. Die feierliche Segnung des Hauses fand am 3. 10.
1995 statt. In dem Werkraum der Schreinerei werden
Sonntags-Gottesdienste gehalten, an denen zusehens mehr
christentumsfremde Menschen teilnehmen.
6.3
Zugleich hat die Kommunität Gnadenthal zusammen mit den Brüdern
der Christusbruderschaft eine neue christliche Gemeinschaft in
Volkenroda/Thüringen angesiedelt. Hier ist die älteste
Klosterkirche der Zisterzienser in Deutschland wieder aufgebaut
worden. Das in moderner Stahlbauweise dazu geplante Langhaus soll
auf der Weltausstellung in Hannover ausgestellt und danach in
Volkenroda aufgebaut werden. Die verfallenen alten Klostergebäude
werden der Reihe nach renoviert und als europäische
Jugendbildungsstätte benutzt werden. Zugleich entsteht in
teilweiser Kooperation mit Betrieben in Volkenroda eine
Dorfgemeinschaft ähnlich wie die in Gnadenthal. Das Herz dieses
vielfältigen Arbeitsalltags ist das Tagesgebet, das von den Brüdern
der Christusbruderschaft geleitet wird.
6.4
Ferner hat die Communität Casteller Ring seit Herbst 1996 im
Augustinerkloster in Erfurt eine Schwesternstation eingerichtet,
die das Tagzeitengebet in der Klosterkirche trägt und für die Gäste
im Klosterhospiz sowie für die Menschen der Stadt Seelsorge
anbietet. Ebenso seit 1996 unterhält die Christusbruderschaft
Selbitz eine Zelle von drei Schwestern in Magdeburg. Sie leben auf
dem Grund und Boden eines ehemaligen Augustinerklosters. Zu ihren
Tagzeitengebeten in der Kapelle der Reformierten Kirche und in der
katholischen Petruskirche sind alle Stadtbewohner eingeladen.
6.5
Umgekehrt lebt seit August 1996 eine kommunitäre Gruppe von
Schwestern der "Diakonischen Schwesternschaft
Wolmirstedt" im Kloster Barsinghausen. Und demnächst wird
eine Gruppe von Schwestern des Schniewindhauses im Kloster
Wennigsen einziehen. So entsteht - zusammen mit dem Kloster Wülfinghausen
- ein Ring neuen kommunitären Lebens in alten Klosteranlagen, die
von der Klosterkammer Hannover verwaltet werden und unter der
Leitung ihres Präsidenten, Prof. Dr. Axel von Campenhausen, für
diesen Zweck großzügig restauriert worden sind.
nach oben
7. Kommunitäten und Ökumene
7.1
Von Anfang an und in allen nach Herkommen und Lebensart
verschiedenen Kommunitäten ist die Einheit der Kirche im Sinne
des Nizänischen Glaubensbekenntnisses ein wesentliches Thema. Das
hat seinen entscheidenden Grund in der zentralen Bedeutung von
Gottesdienst und Gebet im praktischen Leben ihres Alltags. Wer so
geistlich-intensiv aus dem ständig-wachen Hören auf die
lebendige Stimme der Heiligen Schrift als Gemeinschaft lebt,
vernimmt überall die letzte Bitte Jesu an seinen himmlischen
Vater, "daß sie alle eins seien" (Joh 17,20-26), und
bezieht das nicht nur konkret auf das Eins-Sein der Schwestern und
Brüder in der eigenen Gemeinschaft, sondern zugleich auf die
ganze Kirche (1Kor 1,1f). Daraus ergibt sich wie von selbst, daß
in der eigenen Fürbitte für die Kirche diese letzte Bitte des
Herrn für ihre Einheit entsprechend erste Priorität hat. Diese
Einsicht teilen die Kommunitäten mit allen christlichen
Gemeinden, die in gleicher Weise mit der Heiligen Schrift als dem
der ganzen Kirche gegebenen Wort Gottes leben. Dieses geistliche
Anliegen verdichtet sich noch durch die regelmäßige Teilhabe am
Heiligen Abendmahl. Ist es doch der Herr, der für die Einheit
seiner Kirche betet, dem wir in seinem Mahl leibhaftig begegnen!
In den Kommunitäten wird in dieser z.T. täglichen, überall aber
häufigen praktischen Erfahrung mit diesem Sakrament sehr
realistisch nachvollziehbar, wie der Apostel Paulus aus der
Einheit des im Brot gegenwärtigen Leibes Christi die Einheit
seiner Kirche als des einen Leibes erwachsen sieht, dessen Glieder
alle sind, die in der ganzen Welt von diesem gesegneten Brot essen
und dem Kelch der Danksagung trinken (1.Kor 12,12-27, vgl.
10,16f). Bereits die älteste Gruppierung der kommunitären
Bewegung dieses Jahrhunderts, die "Vereinigung vom
gemeinsamen Leben im Ökumenischen Christusdienst", hat die
Bitte um die Einigung der zerspaltenen Christenheit zur Mitte
ihres täglichen Gebets gemacht. Noch heute wird dieses
Einheitsgebet in vielen Kommunitäten mittags gebetet. (s.o. 2.4)
7.2
Aus der gleichen eucharistischen Erfahrung ergibt sich nun aber
auch, daß die evangelischen Kommunitäten sich in einem
besonderen kirchlich-geschwisterlichen Verhältnis zu allen
Ordensgemeinschaften anderer Kirchen wissen. Daraus ist von Anfang
an ein fundamentales Interesse erwachsen, zu möglichst vielen von
ihnen Beziehungen aufzunehmen. Nahezu jede evangelische Kommunität
pflegt so ihre je eigenen Verbindungen mit katholischen,
anglikanischen und teilweise auch orthodoxen
Klostergemeinschaften. Dabei zeigt sich, für alle überraschend,
eine tiefe geistliche Verwandtschaft untereinander, die nicht erst
durch diese Begegnungen entsteht, sondern im Vollzug des
gemeinschaftlichen Lebens schlicht gegeben ist. So hat sich
innerhalb der allgemeinen ökumenischen Bewegung zwischen den
Kirchen noch einmal eine besondere ökumenische Nähe, ja
Gemeinschaft zwischen den Kommunitäten entwickelt. Sie geht in
der Praxis erstaunlich weit, ohne daß davon viel in die Öffentlichkeit
gelangt. Es gibt regelmäßige Begegnungen zwischen den Novizinnen
und den Schwestern, die für ihren Unterricht verantwortlich sind.
Bei den Wahlen von Priorinnen und vor allem bei den Profeß-Feiern
sind Vertreterinnen vieler anderer Ordensgemeinschaften als
geschwisterliche Gäste dabei. Daß diese ökumenische Nähe auch
über Deutschlands Grenzen hinaus gegeben ist, zeigt die Teilnahme
evangelischer Kommunitäten am "Internationalen und
Interkonfessionellen Kongreß für Ordensleute" (CIR). Der
Kongreß 1995 hat erstmals in einer evangelischen Kommunität
getagt: Die Kommunität Christusbruderschaft hat ihn in Selbitz
ausgerichtet. Es ist kein Geheimnis, daß zwischen benachbarten
und befreundeten Kommunitäten und Ordensgemeinschaften in völliger
Selbstverständlichkeit und Herzlichkeit eucharistische
Gastfreundschaft geübt wird. Als großes Vorbild gilt überall
ein regelrechter ökumenischer Vertrag zwischen einem deutschen
katholischen Benediktinerkloster und einer anglikanischen
Ordensgemeinschaft in England, der außer täglicher Fürbitte füreinander
regelmäßige Gastaufenthalte von Mönchen der einen in der
anderen Gemeinschaft vorsieht, zu denen auch die gastweise
Teilnahme an der Eucharistie gehört.
7.3
Hier und dort kommt die Besorgnis zu Wort, ob sich in all dem
nicht ein Trend zur "Katholisierung" zeige. In einem
tieferen theologischen Sinn läßt sich durchaus sagen, daß
"Katholizität" nach dem Nizänischen Glaubensbekenntnis
von den Kommunitäten als wesentlicher Horizont der
"Gemeinschaft der Heiligen" ganz neu entdeckt und gelebt
wird. Das geschieht in voller Übereinstimmung mit den
evangelischen Kirchen selbst, die sich ja nicht weniger als
"katholisch" wissen als die römisch-katholische Kirche.
Die lebendige ökumenische Geschwisterschaft zwischen
evangelischen Kommunitäten und katholischen Ordensgemeinschaften
enthält jedoch keinerlei "katholisierenden" Trend im
konfessionellen Sinn. Zwar gibt es vereinzelt hier und da
Konversionen in beiderlei Richtung. Diese werden zwar als
individuell-persönliche Entscheidungen von beiden Seiten
respektiert, bewirken aber in jedem Fall innerhalb der betroffenen
Gemeinschaft schmerzliche Verwundungen. Grundsätzlich jedoch ist
auf beiden Seiten völlig klar: Durch Konversionen wird Ökumene
nicht bewirkt, sondern nur belastet.
nach oben
8. Andersartige geistliche Gemeinschaften
Zu Beginn dieses Berichtes (2.2 - 3) wurde darauf hingewiesen,
daß es neben den Kommunitäten im engeren Sinn eine große Zahl
andersartiger geistlicher Gemeinschaften gibt. Nur wenn man diese
Vielfalt in ihrer ganzen Bandbreite in den Blick faßt, kann ein
Bild von der geistlichen Erneuerungsbewegung entstehen, das der
tatsächlichen Situation der Gegenwart entspricht. Daß sich
dieser Bericht nahezu ausschließlich auf die Kommunitäten beschränkt,
hat rein pragmatischen Grund: Die Beauftragung des
Berichterstatters bezieht sich auf die zölibatären
Gemeinschaften, zu deren Wahrnehmung in der Kirche und zu deren
Integration in den Lebensraum der Kirche ein besonderer "visitatorischer"
Dienst in der Tat besonders nötig ist. In diesem Schlußteil soll
aber wenigstens noch ein Ausblick auf die andersartigen
Gemeinschaften gegeben werden. Die Vielfalt ist hier noch größer
als bei den Kommunitäten. Zur Strukturierung empfiehlt es sich,
zwischen Gemeinschaften, deren Mitglieder ständig miteinander
leben, und solchen, die Christen, die ein je eigenes bürgerliches
Leben führen, einen Zusammenhalt geben und damit zugleich eine
Hilfe zu einer Gestaltung dieses Lebens als christliches Leben, zu
unterscheiden.
8.1
Unter den Lebensgemeinschaften sind zunächst die
"Familien-Kommunitäten" hervorzuheben. Sie geben eine
christliche Antwort auf ein Problem, das in der allgemeinen
Befindlichkeit unserer Gesellschaft immer dringlicher wird: Wie
kann es im Zusammenhang der tiefgreifenden Individualisierung des
Lebensentwurfs und der Lebenspraxis von immer mehr Menschen und
damit zugleich der Pluralisierung von Lebensformen Strukturen
neuer Gemeinschaftlichkeit geben? Da christliches Leben grundsätzlich
ohne Formen von Gemeinschaft nicht gelebt werden kann, da aber die
Struktur normalen kirchengemeindlichen Lebens an jener allgemeinen
Problematik vollauf teilhat, ist in der Kirche die Frage nach
neuen Gemeinschaftsformen besonders brisant. Die Familienkommunitäten
wollen so etwas wie Experimente christlicher Großfamilien sein,
also einer sozialen Lebensform vergangener Zeiten neue und
neuartige Chancen geben. Die Großfamilie hatte ihren ursprünglichen
Lebensort im ländlichen Bereich. Es ist daher nicht von ungefähr,
daß die meisten Familienkommunitäten sich auf dem Lande, als
Hof- bzw. Dorfgemeinschaften angesiedelt haben. Die Kommunität
Gnadenthal hat, wie gesagt, dieses Selbstverständnis als
christliche Dorfgemeinschaft gezielt ausgearbeitet: Lebenswelt und
Arbeitswelt fallen hier zusammen. Erst später ist den Mitgliedern
dieser Kommunität bewußt geworden, daß sie damit dem ältesten
Modell christlichen Klosterlebens entsprechen- mit dem
entscheidenden Unterschied, daß hier Familien mit Zölibatären
zusammenleben. Und die Familien sind in Gnadenthal (wie so auch in
Hennersdorf und Volkenroda) ein wesentliches Element der Kommunität
als ganzer. Gleiches gilt für die "Lebensgemeinschaft für
die Einheit der Christen" im Schloß Craheim, Stadtlauringen,
in der sich eine Familiengemeinschaft mit der Kommunität der
Jesu-Weg-Schwestern zu einer Lebens- und Arbeitsgemeinschaft
zusammengeschlossen hat.
Ähnlich, wenn auch in der ersten Aufbauphase noch nicht klar
strukturiert, lebt die Familienkommunität Siloah in
Neufrankenroda mit einem offenen Kreis von Mitarbeitenden
zusammen. Ob sie sich diesem Namen entsprechend weiterentwickeln
wird, so daß wie in Gnadenthal die Familien eine Einheit für
sich bleiben, um die herum sich kommunitäre Gruppen von Einzelnen
bilden, oder ob aus dem gegenwärtigen Anfangsstadium einmal die
Form einer "Basisgemeinde" werden wird, ist noch offen.
"Basisgemeinden" sind Lebensgemeinschaften von
Familien, Ehepaaren und Einzelnen, die als solche eine christliche
Gemeinde sein wollen. Die in Wulfshagenerhütten (bei Kiel) ist
ein lebendiges Beispiel für eine solche Gemeinde, in der - wie in
Gnadenthal - Lebenswelt und Arbeitswelt eines sind. Sie lebt auf
einem großen Hofgelände in ländlicher Umgebung. Dagegen ist die
Diakonische Basisgemeinde in Hamburg ein entsprechendes Experiment
inmitten einer Großstadt. Hier üben einige Mitglieder ihren
Beruf (noch) auswärts aus. Das Ziel ist aber die diakonische
Arbeitsgemeinschaft aller in einer Lebensgemeinschaft, in der
immer Asyl suchende Ausländer und Nichtseßhafte zeitweise
mitleben können.
Eine Kommunität von Familien, Ehepaaren und Singles ist die
Communität Hermannsburg. Einige Mitglieder üben ihren Beruf auswärts
aus. Das kommunitäre Leben mit einer ordensmäßigen Regel und
entsprechender Lebenspraxis vereint alle zu einer verbindlichen
Lebensgemeinschaft.
Ähnlicher Art ist die Gemeinschaft "Christen in der
Offensive e.V." in Reichelsheim (früherer Name:
"Offensive junger Christen" - das Kürzel OJC gilt noch
immer). Hier leben Ehepaare mit und ohne Kinder sowie
Alleinstehende in mehreren Hausgemeinschaften als eine Kommunität
mit einer sogenannten "Jahresmannschaft" von jungen
Frauen und Männern, die auf der Suche nach ihrer Identität und
nach ihrem Lebensweg sind, zusammen. In diesem Zusammenhang unterhält
die Kommunität ein "Institut für Jugend und
Gesellschaft", ein "Seminar für Biblische
Seelsorge" sowie ein Jugend-Begegnungszentrum mit einem im
Aufbau befindlichen Museum über das jüdische Leben in der Stadt
Reichelsheim.
Anderer Art ist der Laurentiuskonvent in Wethen (Hessen). Hier
leben Hausgemeinschaften von Großfamilien in einem Verbund als
"Basisgemeinschaft" zusammen. Einerseits geht es um den
"Versuch eines intensiven Gruppenprozesses" im Sinne
einer Schalom-Gemeinschaftskultur; andererseits verbindet alle
Mitglieder "die Bereitschaft, sich gesellschaftlich,
politisch und kirchlich im Sinne des biblischen Begriffs Schalom
(Frieden) zu engagieren. 4 % aller Einkommen fließen in einen
gemeinsamen Verfügungsfonds, mit dem Projekte in der 2/3-Welt
oder auch in der eigenen Gesellschaft unterstützt werden."14
Die Schalom-Kultur im gemeinsamen Leben und das
politisch-gesellschaftliche Schalom-Engagement werden als Einheit
verstanden und gelebt. Von den Kommunitäten ist diese
Gemeinschaft dadurch unterschieden, daß es in Wethen kein
gemeinsames Tagzeitengebet gibt, sondern nur ein Schalom-Gebet zum
Wochenschluß.
8.2
Brüder- und Schwesternschaften, die nicht in einer
Lebensgemeinschaft zusammenleben, gibt es viele. Oft sind es
Gemeinschaften ohne Regel und feste Organisationsform. Festere
Form haben die Gemeinschaften, in denen sich Pfarrer, Prediger
oder Lehrer zusammengeschlossen haben, - etwa die Ahldener
Bruderschaft, die das geistliche Rüstzentrum in Krelingen (gegründet
1971 von Pfarrer Heinrich Kemner) trägt; die Bahnauer
Bruderschaft (1948 neugegründet von den Pfarrern Max Fischer und
Johannes Wieder); die Pfarrer-Gebetsbruderschaft (unter diesem
Namen seit 1945); der Freudenstädter Kreis (seit 1927); die
"Bruderschaft vom Kreuz", eine Gemeinschaft vor allem
von Lehrern, die seit 1969 eng mit der "Bruderschaft vom
gemeinsamen Leben" verbunden ist; die "Kleinen Brüder
vom Kreuz" (seit 1977 in Hermannsburg); die ökumenisch
orientierte St. Jakobusbruderschaft (seit 1964). Besonderen
Charakter hat der Johanniter-Orden (offizieller Name: Balley
Brandenburg des Ritterlichen Ordens St. Johannis vom Spital zu
Jerusalem"), der sich auf den gleichnamigen Ritterorden von
1113 zurückführt. Ebenfalls auf mittelalterliche Gründung geht
das (ehemals zisterziensische) Kloster Amelungsborn zurück, in
dem heute ein evangelisch-lutherischer Abt mit einigen
Konventualen regelmäßig einen Kreis von Männern verschiedener
Berufe als "Familiaritas" des Klosters zu
Einkehrtagungen versammelt.
Eine sehr viel festere Form haben einige große Bruder- und
Schwesternschaften, die für das Leben der evangelischen Kirche
eine wichtige Bedeutung gewonnen haben. Hier ist zuerst die
Evangelische Michaelsbruderschaft zu nennen, die 1931 gegründet
worden ist (Stiftungsurkunde) und seit 1937 nach einer Regel lebt,
die das geistliche Leben des einzelnen Bruders und ihr
Zusammenleben in regionalen Konventen regelt. Ein liturgisch
reicher Wort- und Eucharistiegottesdienst sowie ein
Tagzeitengebet, das nach gregorianischer Tradition gemeinsam
gesungen wird, aber auch in den Familien der Brüder in einer
einfacheren Form gebetet werden kann, sind die Mitte ihres Lebens.
Die Bruderschaft will selbst Kirche sein und verpflichtet die Brüder
zu aktivem Dienst in ihren Kirchengemeinden. Geistliche Übungen
und regelmäßiges Fasten gehören ebenso zu ihrer Spiritualität
wie die Bereitschaft, politische Verantwortung zu übernehmen. Die
Mitte der Bruderschaft und das Herz ihres geistlichen Lebens ist
das Kloster Kirchberg in Württemberg. Die evangelische Kirche
verdankt weitgehend der Michaelsbruderschaft die Wieder- und
Neugewinnung liturgischer "Katholizität". Mit ihr eng
verbunden ist der "Berneuchener Dienst", eine
Gemeinschaft von Frauen und Männern in weniger verbindlicher
Ordnung, aber gleicher Zielrichtung. Seit einigen Jahren gibt
eseine neue Gemeinschaft von Frauen und Männern mit einer der
Michaelsbruderschaft entsprechenden Regel: die "Gemeinschaft
St. Michael". In Berlin lebt in enger Verbindung zur
Michaelsbruderschaft die "Evangelische Gabriels-Gilde"
(seit 1958), deren Mitte das "Haus der Stille" in
Wannsee ist.
Im norddeutschen Raum ist ferner die "Ansverus-Kommunität"
und der "Ordo Pacis" zu nennen: Die erstere ist eine
Gemeinschaft von Frauen und Männern mit eigener geistlicher
Ordnung und Liturgie (Ansverus-Psalter!), die in Aumühle bei
Hamburg ein Einkehrhaus als ihre Mitte und zugleich als Ort vieler
kirchlicher Tagungen hat. Der Ordo Pacis ist eine Schwesternschaft
alleinstehender wie auch verheirateter Frauen mit einer Regel,
nach der die drei "evangelischen Räte" als
"geistige Grundhaltungen" in einer bürgerlichen
Lebensform gelebt werden können, und mit einer Spiritualität, in
der der in Gottesdienst und Gebet empfangene Friede Christi durch
persönlichen Einsatz jeder Schwester in die Welt getragen werden
soll. Ihre Mitte ist ein Haus in Fleestedt bei Hamburg, in dem
eine kleine Gruppe von Mitgliedern als "Cella St.
Hildegard" kommunitär lebt, in einer streng kontemplativen
Lebensform, an deren Praxis Gäste - auch in regelmäßig
gehaltenen Retraiten - teilnehmen können.
9. Abschluss
Alles in allem: Die Kommunitäten, Schwestern- und
Bruderschaften und Basisgemeinden sind ein wichtiger Bereich
intensiven geistlichen gemeinschaftlichen Lebens innerhalb der
evangelischen Kirche, in dem sich ein wesentlicher Teil
kirchlicher Erneuerung vollzieht. Es sind jeweils Orte des Gebets
und der Fürbitte für Kirche und Welt, Orte mit einer Fülle
verschiedener Angebote für Gäste zur Erfahrung und zum Erlernen
von Formen geistlichen Lebens, die der evangelischen Christenheit
weitgehend verlorengegangen sind und deren Neugewinn zugleich ein
Wiedergewinn uralter gesamtkirchlicher Spiritualität ist und
damit eine tiefe ökumenische Gemeinsamkeit mit den anderen
christlichen Kirchen öffnet.
nach
oben |