Warum soll ich dir vertrauen, Gott? Wenn du das
Schreien der Menschen in den Elendsquartieren nicht hörst,
wenn die Schreie der Gequälten dich nicht zum Eingreifen
bewegen, warum sollst du mir helfen, "muss ich auch wandern
in finsterer Schlucht"?
Unsere Väter haben dir vertraut. Manche wurden gerettet.
Die Meisten nicht. Wenige entkamen dem Feuerofen Nebukadnezars,
wenige den Gaskammern der Nazis. Dir vertrauen?
Auch Israel tat sich nicht immer leicht, dir zu vertrauen. Du
hast es trockenen Fußes durch das Meer geführt. Aber
hinter dem Meer da war die Wüste. Als die Wüste ihre
Kehle austrocknete, schrien die Menschen: "Ihr habt uns nur
deshalb in die Wüste geführt, damit wir hier sterben".
Dass Freiheit auch etwas mit Selbständigkeit und Verantwortung
zu tun hat, wollte Israel nicht verstehen. Es meinte, du seist
auch für seine Versorgung zuständig. Wer aus Ägypten
herausführt, hat auch für Proviant zu sorgen.
Die Geschichte Israels ist voller Beispiele, wie es lieber auf
sich und die Landesgötter vertraute als auf dich. Ging es
ihm schlecht, schrie es zu dir um Hilfe. Hat es Hilfe erhalten,
warst du den meisten gleichgültig. Ein Rest aber bewahrte
immer sein Vertrauen auf dich. Ein Rest lebte das Vertrauen, das
nicht zugrundegeht, wer auf dich sein Vertrauen setzt. Ein Rest
schaute auf Abraham, der dir vertraute und wegzog aus seiner Vaterstadt,
von seiner Familie in ein Land, das du ihm zeigen wolltest. Der
Rest schaute auf den kinderlosen Abraham, dem du Nachkommen verheißen
hast so zahlreich wie die Sterne am Himmel. Er schaute auf Abraham
und seinen Sohn, den er Isaak, Freude und Entzücken nannte,
und sah das Messer in der Hand des Vaters, das deine Verheißung
und die Hoffnung der Eltern vernichten sollte.
Sie stärkten ihr Vertrauen auf dich, wenn sie an Judith dachten,
die dem Holofernes den Kopf abschlug und so Betulia vor Versklavung
und Ermordung rettete. Sie dachten an David, der dem Goliath zurief:
"Du kommst zu mir mit Panzer und Schwert. Ich komme zu dir
im Namen des Herrn". Du lenktest die Kieselsteine, die dem
Goliath das Leben nahmen. Sie haben sich aufgerichtet an den Psalmen:
"Unsere Hilfe ist im Namen des Herrn, der Himmel und Erde
gemacht har" (Ps 125). "Fallen Tausende an deiner Seite,
Zehntausende zu deiner Rechten, dich wird es nicht treffen"
(Ps 91) "Der Herr ist mein Hirt, nichts wird mir fehlen.
Muss ich auch wandern in finsterer Schlucht, ich fürchte
kein Unheil. Denn du bist bei mir". (Ps 23)
Von dir sagt der Prophet Jesaia (40,14ff):
"Wer misst das Meer mit der hohlen Hand?
Wer kann mit der ausgestreckten Hand den Himmel vermessen?
Wer misst den Staub der Erde mit einem Scheffel?
Wer wiegt die Berge mit einer Waage
Und mit Gewichten die Hügel?
Wer bestimmt den Geist des Herrn?
Wer kann sein Berater sein und ihn unterrichten?
Wen fragt er um Rat und wer vermittelt ihm Einsicht?
Wer kann ihn über die Pfade des Rechts belehren?
Wer lehrt ihn das Wissen und zeigt ihm den Weg der Erkenntnis?
Seht, die Völker sind wie ein Tropfen am Eimer,
sie gelten so viel wie ein Stäubchen auf der Waage.
Ganze Inseln wiegen nicht mehr als ein Sandkorn.
Alle Völker sind vor Gott wie ein Nichts,
für ihn sind sie wertlos und nichtig".
Was können wir von dir erhoffen, wenn alle Völker der
Erde vor dir wie ein Nichts sind, wenn sie für dich wertlos
und nichtig sind? Wenn wir weniger sind als ein Tropfen am Eimer
und so unbedeutend wie ein Stäubchen auf der Waage?
Aus Eigenem haben wir keinen Anspruch auf dich. Wir haben kein
Recht, dass du uns hilfst. "Herr, unser Herrscher, wie gewaltig
ist dein Name auf der ganzen Erde. Seh ich den Himmel, das Werk
deiner Finger, Mond und Sterne, die du befestigst: Was ist der
Mensch, dass du an ihn denkst, des Menschen Kind, dass du seiner
dich annimmst?" So betet der Psalm 8. Dann aber sagt er:
"Du hast ihn nur wenig geringer gemacht als Gott, hast ihn
mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt. Du hast ihn als Herrscher
eingesetzt über das Werk deiner Hände, hast ihm alles
zu Füßen gelegt".
Wir denken an die Apostel, die über den See fahren. Sie
hatten während der Fahrt mit Wind und Wellen zu kämpfen.
In den Morgennebeln tauchte eine Gestalt über den Wellen
auf. Sie meinten, ein Gespenst zu sehen. Sie hörten eine
Stimme; "Fürchtet euch nicht. Ich bin es". Da rief
Petrus durch das Sturmgetöse: "Herr, wenn du es bist,
dann lass mich über den Wassern zu dir kommen". Jesus
sagte: "Komm!" und Petrus setzte seine Füße
auf das Wasser.
Es ist leicht, bei Schönwetter zu sagen: "Herr, lass
mich über den Wassern zu dir kommen". Wenn alles stimmt
- Gesundheit, Finanzen, Zukunft - ist es leicht, dir zu vertrauen.
Aber hart wird es in der Einsamkeit, in der Krankheit, bei Hunger
und Not. Wenn der Seegang hoch ist, wenn das Wasser nicht nur
die Füße umspült, sondern bis an die Knie, die
Hüften reicht, dann sehen wir nur den schwankenden Boden.
Der zu uns sagt: "Komm!", den sehen wir nicht. Der uns
seine Hände entgegenstreckt, den bekommen wir nicht mehr
ins Blickfeld. Seine ausgestreckte Hand, die Hand, die uns rettet,
scheint so weit weg zu sein. Wir glauben nicht, dass jemand da
ist, der uns auffängt. Wir meinen, ins Leere zu greifen und
gehen unter in den Wellen der Enttäuschung und des Selbstmitleides.
Zwischen dem Boot, das Sicherheit gibt, und deiner ausgestreckten
Hand, die uns rettet, steht die gurgelnde See und das gischtende
Wasser, sind Bitterkeit, Angst und Sorgen. Heißt vertrauen,
den Mut zu haben, über das Wasser zu gehen?
"Herr, wenn du es bist, dann lass mich über den Wassern
zu dir kommen". Jesus weiß, was dem Petrus und uns
alles passieren kann. Warum sagt er "Komm!", wenn der
Boden, auf den er uns ruft, unter den Füßen nachgibt?
Warum fordert er uns zu etwas auf, das nach aller Erfahrung nicht
trägt? Damit sich unser Glaube als Vertrauen in seine rettende,
bergende Nähe erweist? Heißt vertrauen, wagen, was
in den Auge der Menschen unvernünftig und unmöglich
ist?
Wir erleben oft schmerzlich unsere Grenzen. Darum wollen wir,
darum bitten wir, dass du so für unser Leben eingreifst,
das wir es als positiv erleben. Unser Vertrauen ist erschüttert,
wenn du es nicht so machst, wie wir es wollen und wann wir es
wollen. Du aber denkst weiter. Du schaust weiter. Diesen Weitblick
nennen wir Vorsehung. Dein Blick geht so weit, dass du das Ergebnis
der Geschichte aller Menschen, das Ergebnis ihrer Irrungen und
Wirrungen, ihres Tuns und Lassens siehst. Dein Blick bleibt nicht
an den Bauhütten und Gerüsten hängen. Du schlägst
die Gerüste ab, die wir errichtet haben, weil sie nicht mehr
nötig sind.. Du siehst das unbegrenzte Leben, das Leben,
in dem jeder Hundertfaches für das erhält, was ihm hier
vorenthalten wird, worauf er verzichtet hat, verzichten musste.
Wir hätten gerne, dass du uns vor allem bewahrst, was uns
ängstigt. Es gibt Stunden, in denen wir mit Jesus bitten:
"Lass diesen Kelch - und auch alle anderen - an uns vorübergehen".
Aber deine Gedanken sind nicht unsere Gedanken und deine Wege
nicht unsere.
Wir leben nicht im Paradies. Im Schweiße unseres Angesichtes
müssen wir unser Brot verdienen. Wir müssen mit Dornen
und Disteln leben, mit Sorgen und Ängsten. Wir kehren nicht
in das Paradies zurück. Wir werden kein Paradies schaffen.
Wir sind aufgefordert, eine neue Stadt zu bauen. Der eine baut,
weil er sich so seinen Lebensunterhalt verdienen kann. Er hat
eine Weltanschauung, aber keinen Glauben. Ein anderer baut, weil
ihm dadurch die Möglichkeit gegeben ist, sich selber zu verwirklichen.
Sein Leben wird durch den Glauben sinnvoll. Ein Dritter baut,
weil er am Dom mitbaut, an Gottes neuer Stadt. Für ihn ist
Glaube Vertrauen und Hingabe.
Bauen ist mühsam. Zum Bauen braucht man Geduld. Zum Bauen
braucht man eine Vision. Zum Bauen braucht man Provisorien. Man
baut in Zwischenschritten. In einer bestimmten Bauphase sind Gerüste
notwendig. In einer späteren sind sie unnütz, ja hinderlich.
"Als ich ein Kind war, dachte ich wie ein Kind, redete wie
ein Kind: Als ich Mann geworden war, legte ich das Kindhafte ab,
dachte wie ein Mann und redete wie ein Mann"(1 Kor 13).
Wir reden viel davon, dass du die Liebe bist. Unser verstand
hat ein einseitiges Bild von Liebe. Er hat noch nicht durchgedacht,
dass Liebe zum Mitleiden und Mitragen drängt, zum Gleichwerden
im Leid und im Schmerz. Wir meinen immer noch, wenn du Liebe bist,
dann musst du Unmenschlichkeit beseitigen, nicht mittragen. Liebe,
die sich nicht allmächtig zu unseren Gunsten erweist, ist
für uns keine göttliche Liebe. Angesichts von Auschwitz,
Buchenwald, Mauthausen können wir die verstehen, die dich
für einen hilflosen Gott halten, einen Gott mit steinernem
Herzen, für einen Gott, dem zu vertrauen, nichts bringt.
"Herr, ich suche Zuflucht bei dir. Rette mich in deiner
Gerechtigkeit. Sei mir ein schützender Fels, eine feste Burg,
die mich rettet. In deine Hände lege ich voll Vertrauen meinen
Geist". (Ps 31)
"Im Schatten deiner Flügel finde ich Zuflucht, bis das
Unheil vorübergeht" (Ps57). "Herr, wende dich mir
zu und errette mich. In deiner Huld bring mir Hilfe" (Ps
67) "Gott, höre mein Flehen, achte auf mein Beten. Du
bist meine Zuflucht, ein fester Turm gegen meine Feinde"
(Ps61) "Zu dir, Herr, erhebe ich meine Seele. Mein Gott auf
dich vertraue ich. Lass mich nicht scheitern. Lass meine Feinde
nicht über mich triumphieren. Denn niemand, der auf dich
hofft, wird zuschanden. Zuschanden wird, der dir schnöde
die Treue bricht. Denk an dein Erbarmen, Herr, und an die Taten
deiner Huld. Denn sie bestehen seit Ewigkeit".
Dir zu vertrauen, Gott, und auf dich zu bauen, gibt es mehrere
Gründe. Wenn du unser Schöpfer bist,, dann hast du einen
Plan mit uns. Du baust mit uns die neue Stadt. Da du der Gott
der Befreiung bist, willst du uns aus Not und Elend befreien.
Du willst uns Leben in Fülle geben. Da du Gott bist, kann
es nicht dein Wille sein, dass das Böse in seiner vielfältigen
Gestalt triumphiert. Da du Jahwe bist, der Gott, der für
uns da ist, hast du die Macht und den Willen, alles zum Guten
zu führen. Du hast dein Wort gegeben, dass wir nicht untergehen.
Du machst aus den Farben des Lebens ein Gemälde. Du knüpfst
die Fäden der Ereignisse zu einem Teppich. Du machst aus
Steinen, Mörtel und Schweiß die neue Stadt. Du bekleidest
das Sterbliche mit Unsterblichkeit und das Vergängliche mit
Unvergänglichkeit. "Muss ich auch wandern in finsterer
Schlucht, ich fürchte kein Unheil. Denn du bist bei mir".
Du hast dich deinem Volk als Befreier offenbart. Du hast das
Meer gespalten. Du hast dein Volk mit Manna und Wachteln gespeist.
Du hast Wasser aus dem Felsen fließen lassen. Du hast mit
ihm einen Bund geschlossen und ihm deinen Segen für alle
Zeiten verheißen. Du hast ihm ein Land gegeben, das von
Milch und Honig fließt. Du hast ihm einen Retter versprochen,
der unsere Schuld auf sich nehmen wird und der wegen unserer Sünden
zerschlagen worden ist, als hätte man auf seinem Rücken
Furchen gezogen.
Wenn wir zu ihm gehören, kann es uns dann besser gehen als
ihm? Wenn er den Kelch trinken musste, wird er dann an uns vorübergehen?
Wenn er das Gefühl hatte, von dir verlassen zu sein, können
wir dann immer das Gefühl von deiner Nähe und Geborgenheit
haben? "Der Herr hat mich verlassen. Gott hat mich vergessen"
klagt Jesaias (49,14). "Er hat auf Gott vertraut. Der soll
ihn retten", höhnen die Pharisäer und Schriftgelehrten.
Die Menschen fragen: "Wo ist nun dein Gott?" (Ps 79,10).
"Viele gibt es, die von mir sagen: Er findet keine Hilfe
bei Gott. Du aber, Herr, bist ein Schild für mich" (Ps
3)
Ein Haus brennt. Rauch und Qualm verhindern die Sicht. Ein kleiner
Bub - hinter ihm Feuer, vor ihm dichter Qualm - ruft seinen Vater.
Der Vater steht auf der Straße und ruft: "Spring! Ich
fange dich auf!" Das Kind: "Wo bist du? Ich sehe dich
nicht". Der Vater: "Aber ich sehe dich, Spring! Ich
fange dich auf".
Müssen wir springen? Springen in das Dunkle, Undurchschaubare?
Ist das Gottvertrauen - sich verlassen, dass da jemand ist, der
uns auffängt? "Muss ich auch wandern in finsterer Schlucht,
ich fürchte kein Unheil"?
Gottvertrauen ist Springen in den Qualm, in den Nebel im Vertrauen,
dass uns jemand auffängt. Wir haben Angst vor dem Schweben
im Nichts, vor diesem Fallenlassen in das Unbekannte, Undurchschaubare.
Vertrauen ist Springen in der Gewissheit, dass uns jemand auffängt,
ist verlassen des Bootes trotz der gurgelnden Tiefe, die sich
unter unseren Füßen auftut, trotz des Sturmes, der
die Gefahr vervielfacht und uns den Mut nimmt, ist das Vertrauen,
dass uns jemand seine Hand entgegenstreckt und uns hält,
wenn die Wellen nach uns greifen.
Unsere Sinnsuche greift oft ins Leere. Undurchdringlich und unbegreiflich
wird oft, was uns umgibt. Die Geschichte der Menschen erscheint
uns als eine Anhäufung von Grausamkeiten und Katastrophen.
Unser Leben besteht in manchen Zeiten nur aus Lüge, Enttäuschungen,
Absurditäten. Dann fragen wir: "Wo bist du?" In
solchen Momenten wird die Suche nach dir zum Zweifel, zur Ungewissheit,
zur Angst und Ausweglosigkeit.
Du hüllst dich in Schweigen. Du entziehst dich uns. Du lässt
uns allein in unserer Not. Du lässt uns in Verlassenheit
verharren. Wir fragen: "Hast du dich verborgen?" Wir
fürchten, dass du ein toter Gott bist, dass es dich nicht
gibt, dass unsere Gebete, unsere Hoffnungen in ein Land gehen,
in dem niemand wohnt. Hast du dich zurückgezogen, dass wir
dich eifriger suchen? Zurückgezogen, dass wir merken, wie
unangemessen unsere Vorstellungen von dir sind? Damit wir dich
suchen und nicht die Bestätigung unserer Träume und
Wünsche?
In dieser Erfahrung von Gottverlassenheit bleiben wir nicht stumm.
Wir klagen und bitten: "Wende dich dem Verlassenen wieder
zu. Herr, höre meine Klage. Mein Schreien dringe zu dir.
Verbirg dein Antlitz nicht vor mir". (PS 102). Wir trösten
uns mit dem Wort des Apostels Paulus: "Was kann uns trennen
von der Liebe Gottes - Gefahr oder Not, Hunger oder Kälte?"
Unser Verhältnis zu dir steht in der Spannung von Wagnis
und Gewissheit, Spontaneität und Gewissheit.
Er schwankt zwischen Vertrauensseligkeit und Misstrauen, zwischen
Angst und Zweifel, zwischen Überheblichkeit und Verzweiflung.
"Wie lange noch, Herr, vergisst du mich ganz? Wie lange noch
verbirgst du dein Gesicht vor mir? Wie lange noch muss ich Schmerzen
ertragen, in meinem herzen Kummer Tag für Tag?" (Ps
13)
Was immer Israel getan hat, was immer Israel geschehen ist -
es hat nicht vergessen, dass du sein Retter, sein Schild, seine
Burg bist. "Muss ich auch wandern in finsterer Schlucht,
ich fürchte kein Unheil. Denn du bist bei mir" Sind
wir von Rauch und Qualm umgeben, sehen wir nichts als Finsternis,
so sagst du uns: "Spring!" Und wenn wir voller Angst
sind: "Wir sehen dich nicht", dann sagst du: "Aber
ich sehe dich - spring!"
Im Getto von Warschau stand auf einer Mauer: "Ich glaube
an die Sonne, auch wenn sie nicht scheint. Ich glaube an die Liebe,
auch wenn mich Hass umgibt. Ich glaube an das Leben, auch wenn
der Tod auf mich wartet!
"In te, Domine, speravi. Non confundar in aeternum - Auf
dich, o Herr, vertraue ich. In Ewigkeit werde ich nicht zuschanden".
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